Manche Sachen müssen eben sein.
Weihnachten zum Beispiel.
Oder Krankenhäuser.
Sollten Sie jetzt verdeckte Regimekritik erwarten, muss ich uns alle leider enttäuschen - Weihnachten ist gut so, wie es ist.
Hier fehlt eindeutig ne Pointe, denn die letzten Tage waren hart aber fair.
Der Baum steht, die Reste der zugegeben etwas voluminösen Wurzel habe ich in mehreren Nacht-und-Nebel-Aktionen sorgfältig auf die Biotonnen der gesamten Nachbarschaft verteilt, und auch sonst läufts prima.
Naja, Letzteres war geflunkert.
An dieser Story sitze ich nun schon seit geschlagenen 5 Tagen.
Natürlich nicht ununterbrochen. Zwischendurch muss auch ich mal austreten;
sollte vielleicht mal überlegen, meine Texte nicht auf einer anfangs noch gut gefüllten Kiste Coca Cola(tm) zu verfassen.
Sitzt sich inzwischen auch verdammt wackelig, es ist mitten in der Nacht und in der Glotze läuft schon Feiertagsprogramm.
Chuckys Baby - langsam wird es besinnlich, wenn an dieser Stelle nicht die Formatierung im Arsch wäre.
Apropos besinnlich:
Ich gebs zu - die hatten mich im Krankenhaus geködert.
Kurz vor Weihnachten auch noch und wie man echte Männer eben ködern kann.
Baulärm und so.
Total tofte.
"Geil", entfährt es mir innerlich, während es direkt in der Etage über mir bollert und wemmst, als würde Rambo gerade jedes einzelne Zimmer persönlich eliminieren.
Vielleicht isses auch Amboss, der Rabiator.
Aber das darf die Leserschaft heute ausnahmsweise mal selbst entscheiden.
Ich bin ja ein demokratischer Typ.
"Das ist wie Feiertagsprogramm ganz ohne HD-Receiver", wispere ich noch so vor mich hin, während ich andächtig über den Krankenhausflur gleite.
Die PS4 zum Weihnachtsfeste darf also auch entfallen, wenn man die Geräusche von
Call of Duty auf Station III gleich in Hilti digital stereo surround inklusive full-size-Vibration gratis dazubekommt.
Schick, hier marschiere ich dann so ein paar Tage vorm Feste noch ein...wenn ich die Worte der Stationsärztin einigermaßen richtig von den Lippen ablesen kann.
Wie rieselnder Deckenputz und das unaufhörliche Klonkern von Geröll die zivilisierte Kommunikation doch beeinflussen können.. Man lernt eben nie aus.
Merke mal wieder: Ohne whatsapp wird das Leben kontinuierlich immer schwieriger!
Zwei Tage später rufe ich dort nochmal an..
"Spitzenmäßig!", denke ich, als ich das wohlvertraute Ballern des 15-Kilo Bohrhammers durch mein Telefon vernehme.
Zusätzlich streichelt irgendjemand offenbar zärtlich alte Heizkörper mit einem Vorschlaghammer.
Wer Amboss, den Rabiator kennt, der weiß auch, dass man mit gezielten Hammerschlägen auf scheinbar tonnenschwere Guss-Heizkörper prima über mindestens 10 Etagen morsen kann.
Immerhin, die Schwester am anderen Ende der Leitung spricht mit mir, morst nicht.
Packe noch schnell einen Bauarbeiter-Helm mit in mein Täschchen!
Sollten mir Indianer, Polizist oder so nen richtiger Rocker als Zimmergenossen über den Weg laufen, tanzen wir nach der Narkose zusammen YMCA und reißen die obere Etage im Alleingang ab, noch bevor uns das fettige Krankenhausessen wieder schachmatt setzen kann.
Die Narkosen heutzutage haben mit schachmatt nämlich leider nicht mehr viel zu tun, stelle ich wiederum einen Tag später enttäuscht fest.
Da hätte ich den Baum nicht extra vorher schlagen müssen.
Überhaupt stimmt hier irgendwas nicht oder die haben einfach saugutes Marketing.
Der Baulärm ist weg.
Skandal!
Ich erwache nach 45 traumlosen Minuten Propofol, ohne Baulärm!
Vom Indianer auch keine Spur und der Rocker hat heute scheinbar Urlaub.
Immerhin: In geschätzten 10 Metern Entfernung tanzt ein Pirat zu unsäglicher 80er-Jahre-Musik..
"hören sie mal, Meister" brabbelt es aus mir heraus und versetze den lustigen kleinen Piraten sogleich von der tänzelnden in eine Vorwärtsbewegung, stelle dabei aber entsetzt fest, dass ich überhaupt schon wieder brabbeln kann!
Nebenwirkungen waren also auch aus?!
"Das ist doch hier erst der Vorhof der Hölle, oder? Also weil ja sicher hinter der nächsten Tür erst Modern Talking läuft"...
Der Pirat schaut mich emotionslos an.
Scheinbar fällt ihm auch grad auf: Die Musik ist zu laut....zumindest nach deutschen Standards für Aufwachräume.
"Schauen sie, ich habe aine bunte Mütse auf den Khopf. Wie gäht es Innen?", höre ich eine piepsige Stimme sagen..
Überhaupt, ein Pirat ohne Schnurrbart und sonstige maskuline Attribute, sieht mir doch verdächtig nach einer Frau aus.
Und ich habe Recht. Offenbar war meine Narkose so verdammt nebenwirkungslos, dass ich gleich schon wieder messerscharf kombinieren kann.
"Pirat bleibt Pirat, Weib!" sage - nein - denke ich zum Glück nur, denn ich bin dieser Person und vor allem der Musik-CD schutzlos ausgeliefert.
Zudem offeriert mir mein kurzer Griff an die wichtigsten Stellen eines Mannes, dass zwischen Bettdecke und mir nicht viel ist.
Genauer gesagt: nix.
Also Ball flach halten, Freundchen...lächeln und mitwippen.
"Mir geht es gut", sage ich jovial.
Denn auch jovial kann ich schon wieder. Das Piratenmädchen freut sich:
"Ist das 80er-Jahre...macht das nix, odder?! Bisschen laut vielleicht, aber sind sie ja auch 80er Jahre geborren..."
Logisch irgendwie.....zwar bricht das Piratenkonstrukt zu diesem Zeitpunkt vollends zusammen, weil ich aus einschlägigen Filmen keine Piraten oder -tinnen mit russischem Akzent kenne, aber immerhin lebe ich noch und darf sogar die Vorhölle wieder verlassen.
Im Zimmer herrscht Totenstille.
Geradezu grotesk, wenn man überlegt, dass sie in der Hölle gleichzeitig Modern Talking spielen.
Schlimmer aber noch:
Hier auch kein Baulärm mehr.
Kein YMCA,
niemand morst.
Dafür zieht der fettige Essensduft direkt herein. Bratkatoffeln?
Irgendwas stimmt mit dem Drehbuch nicht.
Der Indianer entpuppt sich als lettischer LKW-Fahrer, der, so glaubt man den hiesigen Stationsschwestern, nur Russisch versteht.
Wir stellen uns vor...und "Nein, nein", winkt er ab..."nix verstehe".
Habe meinen Helm also völlig umsonst in die viel zu kleine Tasche gepresst.
Langeweile droht.
Ich lehne mich zurück, viel zu wach, verdammte Scheiße, während der LKW-Indianer Wintersport schaut.
Dass er dabei nix versteht, da hat er noch Glück, denn es wird pausenlos durchmoderiert und kommentiert, dass sogar eingefleischten ZDF-Zuschauern die Batterien abrauchen.
Welche Batterien gemeint sind, dürfen Sie jetzt selbst entscheiden.
Ich bin heute eben auch ein involvierender Typ.
Muss überhaupt auch mal zum Ende kommen, sonst ist Weihnachten gleich vorbei oder meine Haustür gibt diesen "Nachbarn" nach, die seit einer Stunde klonkern und morsen, dass die Schwarte kracht.
Soll irgendwie um Biotonnen gehen und 3 Kubikmeter Mutterboden im Treppenhaus.
Weihnachten...
Weihnachten, das ist auch wie das Glänzen in den Augen meines lettischen Zimmergenossen.
Da war eine Wärme und Freude in den Augen, als die Krankenhausküchentante mit dem Essensplan für seinen weiteren Aufenthalt hereingeschneit kam, die mich immer noch rührt.
Schöner Vortrag auch von ihr, muss man sagen.
"Nehme Kartoffelgratin auf Rosmarin mit Rotkohl und Hähnchenbrustfilet, dazu ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte" entfährt es dem LKW-Indianer.
Ich sage: "nix versteh"
Erleichterten Schrittes verlasse ich mein Krankenlager noch am selben Tag.
Der Mann wird sich durchschlagen...und falls Rambo ab Montag wieder praktiziert, habe ich ihm meinen Helm in sein Nachtschränkchen gelegt.
Gleich neben Goethes Faust und Rilkes gesammelte Werke.
Und mindestens mit Helm und der korrekten Aussprache von "Hähnchenbrustfilet" kann auch bei ihm nichts mehr schiefgehen.
Abgesehen vom Drumherum geht auch beim Baum nichts mehr schief.
Weihnachten muss sein - auch, wenn ich schon weiß, dass das mir angekündigte Filet sicherlich wieder am Ehesten mit einer gallertartigen Masse in Vollnarkose zu beschreiben ist.
Hoffen wir gemeinsam, dass wenigstens keine Modern-Talking-CD unterm Tannenbaum liegt...
Frohes Fest!
hungrigst,
Ihr/Euer/Dein
MiM
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